Willkommen beim Tauschkreis Mühlviertel
Heidemarie Schwermer

Leben ohne Geld - reale Alternative oder ­Spinnerei einer Utopistin?

Warum lebt jemand freiwillig ohne Geld in einer Gesellschaft, in der Geld auf der Skala der wichtigsten Dinge an erster Stelle steht? Will „Donna Quichotte“ einen Kampf gegen die Windmühlen aufnehmen, sich wichtig tun oder nur sich einen faulen Lenz machen und auf Kosten anderer leben?

 

Viele Menschen, die zu meinen Vorträgen kommen, können sich nicht vorstellen, wie ein Leben ohne Geld überhaupt möglich ist, und sind meist interessiert daran, wo Frau Schwermer nächtigt, was sie isst, was sie im Krankheitsfall macht etc. Fragen, die berechtigt sind, die jedoch nur die Peripherie streifen und eingangs beantwortet werden können, um dann Platz zu machen für das Eigentliche dahinter.

Das Eigentliche ist die Entdeckung einer neuen Lebensform: weg von der Tauschgesellschaft, in der wir uns zur Zeit befinden, hin zu einer Gesellschaft des Teilens. In einer Tauschgesellschaft steht hinter dem Tun meist eine Absicht nach dem Motto: Was erhalte ich, wenn ich dieses oder jenes tue? Lohnt sich der Aufwand für mich, gibt’s genug zurück, oder sollte ich mir nicht lieber etwas Lukrativeres suchen? Abwägen, Vergleichen, Feilschen, Konkurrieren steuern die Überlegungen für unser Tun.

Ganz anders der Umgang mit unseren Energien beim Teilen. Hier spielen Fragen wie „Was brauche ich wirklich?“, „Was macht mir Freude?“, „Wie kann ich andere unterstützen?“ die größere Rolle. Beim Teilen verlasse ich das Konkurrenzgehabe und tauche ein in ein wohlwollendes Miteinander. Die Welt und die Menschen darin als Ganzes, als Einheit zu sehen, verändert unser Weltbild und bringt uns vom Haben zum Sein.

Doch was hat das damit zu tun, dass wir auf Geld verzichten? Diese Sichtweise können wir schließlich auch im Umgang mit dem Geld erreichen - handelt es sich doch um eine Bewusstseinserweiterung. Das stimmt! „Das Leben ohne Geld“ ist im Moment mein ganz eigener Weg, der nicht übernommen werden soll – noch nicht! Mein „Leben ohne Geld“ soll zur Zeit zum Denken anregen, Mut machen, Hoffnung schüren, stärken!

 

Den Lebensfluss entdecken

Menschen mit wenig Geld könnten statt der Angst vor dem Ausgeliefertsein darüber nachdenken, welche Möglichkeiten sie haben, ihren Alltag zu bereichern. In der alternativen Szene gibt es unglaublich viele Angebote, angefangen bei den Bücherschränken auf dem Bürgersteig bis hin zu den Umsonst- oder Gib-und-Nimm-Läden, Car-sharing, die vielen Tauschringe etc. Auf der materiellen Ebene haben die Menschen sich schon viel ausgedacht, um das Leben leichter und durch ein echtes Miteinander erfüllender zu machen. Wollen wir diese Dinge in Anspruch nehmen, brauchen wir allerdings ein gutes Selbstbewusstsein, ein stabiles Selbstwertgefühl, um uns nicht als arme Bedürftige zu empfinden. Die „glücklichen Arbeitslosen“ in Berlin (www.diegluecklichenarbeitslosen.de) gehen hier mit gutem Beispiel voran. Sie wissen, dass eine bezahlte Erwerbsarbeit nicht das A und O unserer Lebensform sein muss, dass jeder Mensch eine Daseinsberechtigung hat und viele Talente!

Leben ohne Geld bedeutet, den Lebensfluss entdecken, sich treiben lassen im Strudel der Lebendigkeit, sich einlassen in eine neue Lebensqualität, die durch Aufmerksamkeit, Achtsamkeit und Wachsein entsteht. Wachsein für uns selber, für unser Gegenüber, für die Gesellschaft und das Ganze bedeutet eine neue Intensität, eine Hingabe an das Leben. Statt sorgenvoll hinter dem Mammon herzuhetzen, unseren Fokus auf das Materielle, Äußere zu legen, geht es um Geschehenlassen, darum, das Herz zu öffnen und aus ihm heraus zu handeln. Dadurch entsteht ein Wertewandel und ein Paradigmenwechsel, den wir heute unbedingt benötigen für die Heilung aller bislang angerichteten Schäden, die sich in gewaltigen Naturkatastrophen zeigen, aber auch in der Diskrepanz zwischen den Besitzenden und den Besitzlosen. So wie wir uns von der Natur abgewandt haben, uns über sie gestellt, sie missachtet und geschändet haben, können wir jetzt zurückkehren zu tragenden Werten unserer Ahnen – wie Kooperation, Hilfsbereitschaft und Achtung vor der Natur –, die über Jahrtausende unser Überleben gesichert haben. Zurückkehren zu alten Werten heißt nicht, Gepflogenheiten aus der Steinzeit zu übernehmen und unsere technischen Errungenschaften zu schmähen. Darum geht es absolut nicht bei einem „Leben ohne Geld“. Allerdings geht es darum, die Kompliziertheit zu erkennen, die durch die Regeln und Gesetze für den Umgang mit dem Geld entstanden sind.

 

Einfachheit und Vertrauen

Absicherungen, Versicherungen, Trennungen, Mauern, Misstrauen, Missgunst u.v.m. machen uns das heutige Leben schwer. Einfachheit und Vertrauen, gegenseitige Unterstützung aus einem Wohlwollen heraus, Miteinander statt Gegeneinander schaffen eine neue Kultur für uns alle.

Und wie soll das gehen bei den vielen Verpflichtungen, die wir zu erfüllen haben? In kleinen Schritten und für jeden in einer anderen Weise. Die Zeiten sind vorbei, wo jemand daherkommt, einen Plan entwirft für alle, der eingehalten werden muss, damit ein Ergebnis sichtbar wird. In der heutigen Zeit gibt es so viele unterschiedliche Ansätze und durchdachte Möglichkeiten für einen anderen Umgang mit unseren Aufgaben im Alltag. Das Ziel dieser Ideen ist dasselbe: eine bessere, gerechtere Welt für alle, Frieden und Harmonie in uns und um uns herum! Alle sehnen sich nach Gemeinsamkeiten, nach Anerkennung und Liebe!
„Gib und Nimm“ ist eines der vielen neuen Konzepte, von mir in jahrelangem Versuch erprobt mit wunderbaren Folgen. Der Name "Gib und Nimm" ist zunächst für einen Tauschring entstanden als Hinweis fürs Tauschen nach dem Motto: Gibst du mir, gebe ich dir. So nach und nach entwickelte sich daraus ein Konzept, das über das Tauschen hinausging, in ein Teilen hinein. Die vier Farben auf dem Gib-und-Nimm-Aufkleber sollen das symbolisieren: Grün steht für den Weg nach Innen, Gelb für die Auseinandersetzung mit dem Du, Rot soll einen politischen Anteil andeuten und Blau steht für das Spirituelle. So steht das Konzept für eine umfassende Herangehensweise an das Sein.

Die eigenen Talente entdecken

Der Ausstieg aus dieser komplizierten Welt, in der sich die meisten Menschen befinden, ging schrittweise. Durch die Gründung des Tauschrings in Dortmund und meine Aktivitäten des Gebens und Nehmens bemerkte ich zunächst eine Reduzierung der Geldausgaben. Ich ließ mir über das Tauschen die Haare schneiden, kochte mit anderen zusammen, tauschte Kleidungsstücke aus und überlegte mir gemeinsame Freizeitbeschäftigungen. Dabei entdeckte ich immer mehr Talente an mir, die ich zu geben hatte, was mir ein Glücksgefühl bescherte. Nach zwei Jahren des Tauschens und Teilens entschloss ich mich, endlich mein lang ersehntes Experiment zu starten: den Alltag ganz ohne Geld zu gestalten! Ich gab meine Wohnung auf, trat aus der Krankenversicherung aus, verschenkte meinen Besitz und hütete in Dortmund für die Tauschringmitglieder deren Häuser und Wohnungen, wenn sie im Urlaub waren.

Natürlich war das nicht immer einfach, denn in den Häusern gibt es unterschiedliche Energien, die nicht immer den meinen entsprachen. Da jedoch dieses Experiment auch politischen Charakter hatte – schließlich wollte ich festgefahrene Strukturen auflösen –, hielt ich durch und fand sogar Freude daran, mich auf fremde Lebensformen einzustellen. Die Fremdheit meiner Mitmenschen löste sich so nach und nach auf und machte einem Gefühl der Vertrautheit Platz. So konnte ich nach zwei weiteren Jahren den Tauschring und Dortmund verlassen, um eine Aufgabe und einen Platz „in der Fremde“ zu finden. Ich hütete in der ganzen Bundesrepublik Häuser, reiste herum und dachte nach über neue Schritte in eine bessere Gesellschaft. Nach dem Verlassen des Tauschrings gab ich auch das Häuserhüten auf, kehrte nach Dortmund zurück, wo ich ein Jahr lang in einem Vereinshaus „unterschlüpfte“, dort kochte, putzte, Bürodienste übernahm und schließlich mein erstes Buch „Das Sterntalerexperiment“ schrieb. In dieser Zeit lernte ich, meinen Dünkel abzulegen und demütig zu sein, wenn es nötig war.

 

Abenteuer und Lebendigkeit

Ich entdeckte die „Wunder im Alltag“, die sich häuften und mir große Freude bescherten. Das, was ich als Wunder bezeichne, ist für viele „purer Zufall“. Ich jedoch behaupte, dass es keine Zufälle gibt, dass der Himmel uns Dinge zuspielt, um uns behilflich zu sein in unserer Weiterentwicklung. Diese Zeichen, die es für alle gibt, zu erkennen und einzubauen in den Alltag, verschafft uns Abenteuer und erzeugt Lebendigkeit. Das Leben fließt sozusagen, versorgt uns mit Überraschungen und schubst uns voran, wenn wir wachsam sind.

Im Laufe der Jahre lernte ich eine Menge. Das Wichtigste auf diesem Weg ist die Auflösung alter Ängste und störender Gefühle, die sich verwandelten in ein großes Vertrauen ins Leben, in Freude, Gelassenheit und Lebendigkeit. Und ich bin überzeugt, dass das auch bei anderen Menschen funktioniert. Ich stelle mir eine Welt ohne Geld vor, in der die Menschen ihr Herz in den Mittelpunkt stellen, aus dem heraus sie handeln. In Ruhe betrachten sie das Leben und ihre Aufgabe darin. Sie fühlen sich geachtet, geliebt und wertgeschätzt, weil sie selber achten, lieben und wertschätzen.



Autoren Info
Heidemarie Schwemmer

Heidemarie Schwemmer

wurde 1942 in Memel (heute Klaipeda, Litauen) geboren und musste schon als Kleinkind ihre Heimat verlassen. Das Erlebnis, als besitzloser Flüchtling im Westen anzukommen, hat ihr Weltbild geprägt. Schon früh in ihrem Leben begann sie sich über Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Welt den Kopf zu zerbrechen und nach neuen Wegen zu suchen. Sie arbeitete als Grund- und Hauptschullehrerin, wurde später Motopädin und Gestaltpsychotherapeutin und gründete 1994 die "Gib und Nimm Zentrale" in Dortmund, einen der ersten Tauschringe in der Bundesrepublik. Seit 1996 lebt sie ohne Geld.
Das erste Buch "Das Sterntalerexperiment" wurde in mehrere Sprachen übersetzt und erhielt im Dezember 2008 den Tiziano-Terzani-Preis, einen Friedenspreis in Italien. Das zweite Buch "In Fülle sein - ohne Geld" ist auf ihrer Homepage www. heidemarieschwemmer.com kostenfrei herunterladbar. Am 26.11.2010 hat der norwegisch-italienische Dokumentarfilm über ihr Leben ohne Geld "Living without money" in Oslo Premiere.


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